Einführung zur Ausstellung "Stadtfotografie - Zufällig Frankfurt"

Anja Kühn (geb 1963) hat Philosophie studiert und fotografiert seit vielen Jahren, ohne gelernte Fotografin zu sein. Die in der Ausstellung präsentierten Bilder wurden fast alle in Frankfurt gemacht, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag. Das irritierende Bild auf der Einladung "Pferd vor Polizeipräsidium" z.B. wurde vor dem Frankfurter Plizeipräsidium fotografiert. Die Bilder der Ausstellung zeigen städtische Erlebnismöglichkeiten: Architektur, eine Hundeschau, Schaufensterpuppen, Rolltreppen, Lüftungsrohre, Reklametafeln etc. Sie erfüllen mühelos formalästhetische Kriterien, weisen aber auch immer darüber hinaus.

In den Architekturbildern entstehen durch das Licht und die Farbkontraste surreale Überhöhungen, so dass leblose Gegenstände oder Gebäude auratisch, "kostbar" oder wie aus einer anderen Welt in unsere Wirklichkeit transponiert erscheinen. Besonders augenfällig wird dies in ihren Aufnahmen von Menschen und Puppen. Die Welt verkehrt sich: Die Menschen wirken wie Puppen in einem Architekturkonzept. Dagegen erscheinen die Puppen wie sinnliche Wesen, die untereinander kommunizieren.

Diese Effekte beruhen nicht auf der digitalen Bildbearbeitung, sondern auf einem spezifischen Blick. Anja Kühn fotografiert analog. Sie beobachtet ihr Motiv und wählt einen speziellen Moment und einen präzisen Bildsausschnitt. Dieser wird später im Labor nicht mehr verändert, es erfolgt auch keine sonstige Nachbearbeitung. Die Wahrnehmung selbst ist bei Anja Kühn der künstlerische Akt. Unsere Sinnesorgane dienen nicht dazu, eine gegebene Welt aufzunehmen, sondern sie für uns herzustellen. Dafür müssen Daten gefiltert, unterschieden und klassifiziert werden. Somit ist jede Wahrnehmung einer vermeintlich objektiven Tatsache immer eine Interpretation.

Renate von Loesch